Dharma-Aktivität

Genro Seiun Osho über das Zen von Joshu Sasaki Roshi

 

 

 

Buddhismus heißt Weisheit erlangen; Weisheit um zu sehen, wie das Selbst, somit überhaupt alles im Universum entsteht, wie es sich entwickelt und wie es sich wieder auflöst und vergeht.
   
   

Woher und Wohin

 Man wird in diesem Zusammenhang vielleicht vorbringen, dass wir zwar die Frage nach dem „Woher“ durch die Erfahrung unserer eigenen Geburt klären oder doch wenigstens verstehen könnten. Aber wie können wir um unser Ende wissen, ohne jemals die Erfahrung des Todes gemacht zu haben?

Der Buddhismus lehrt auch vom Tod. Dazu müssen wir aber Weisheit entwickeln, um das verstehen zu können.

 

Nicht-Form

 

 Alles, was in Erscheinung tritt, kommt aus dem gleichen Ursprung und kehrt letztlich wieder dorthin zurück. Der Ursprung ist der kleinstmögliche Punkt. Im Ursprung ist alles als Nicht-Form latent enthalten. Nicht-Form bedeutet nun aber nicht, dass der Ursprung ein Vakuum, ein Nichts im Gegensatz zum Existierenden ist. Der Ursprung ist vielmehr die Fülle aller möglichen Erscheinungen, gleichzeitig aber selbst keine Erscheinung. Er ist kein Ding unter anderen Dingen.

Im Ursprung liegt das Potential aller Erscheinungen. Der Ursprung kann daher natürlich nicht selbst die Qualität einer Erscheinung annehmen, er enthält ja die Möglichkeit aller Erscheinungen. Seine „Qualität“ wird im Buddhismus mit Nicht-Form, Leere, Ku oder Shunyata bezeichnet.

Durch das immerwährende Wirken der Dharma-Aktivität, die weder Willen noch Verlangen hat, erscheinen einerseits aus dem Ursprung (der Nicht-Form, Leere Shunyata) alle dinge. Sie kehren andererseits aber auch wieder durch das Wirken der Dharma-Aktivität in den Ursprung zurück, sie vergehen.

Alles, was in Erscheinung tritt, kommt also aus dem unsichtbaren Ursprung, wird sicht bar und kehrt wieder zum Unsichtbaren zurück. Diesem Ablauf unterliegen nicht nur wir Menschen, sondern auch Steine, Gräser, Tiere, ja, das ganze Universum. Aber, damit etwas in Erscheinung treten kann, muss eine Ursache, sowie die Bedingungen dafür vorhanden sein.

 

Nichts existiert beständig

 Nichts kann für sich allein, also unabhängig von allem anderen existieren. Das ist die Bedingung dafür, dass etwas in Erscheinung treten kann.

Es existiert auch nichts beständig; das heißt alles ist ständigem Wandel unterworfen. Das ist die Ursache dafür, dass etwas in Erscheinung treten kann.

Hier erkennt man die beiden Prinzipien in unserer Welt der Erscheinungen. Der ständige Wandel sorgt für Bewegung, während die gegenseitige Abhängigkeit, durch die Wechselwirkung aller Erscheinungen miteinander, diese Harmonie hält.

Man kann nun schließen, dass das was man ein Ding nennt einerseits zwar sehr wohl existiert, da es in Erscheinung tritt, es aber andererseits auch nicht existiert, da es ständigem Wandel unterliegt. Es wäre daher ein Fehler, irgend etwas als beständig zu betrachten, selbst Buddha oder das Absolute existieren nicht fixiert. Aber man muss sich auch davor hüten, zu behaupten, dass nichts existiere.

 

Atmung ist Dharma-Aktivität

Die Dharma-Aktivität ist die kosmische Aktivität, die im Prinzip nicht verschieden von unserer Atmung ist. Durch das Ein- und Ausatmen kann man das Wirken des Zen, das Wirken der Dharma-Aktivität, zwischen dem Kleinsten und dem Größten, Sein und Nicht-Sein, Leben und Tod realisieren. Außerhalb dieser Dharma-Aktivität gibt es nichts.

Sie besteht aus den zwei gegensätzlichen und auch einander gegenseitig bedingenden Kräften: die der Ausdehnung und die der Zusammenziehung. Ohne Zusammenziehung gibt es keine Ausdehnung (und umgekehrt), genau so, wie es ohne Tod kein Leben gibt. Die erstere (Ausdehnung) können wir als die Lebens-Aktivität oder die männliche Aktivität bezeichnen und die zweite (Zusammenziehung) als die Todes-Aktivität oder die weibliche Aktivität.

 

Während unseres Lebens läuft ein unaufhörliches Wechselspiel zwischen diesen beiden Kräften ab (Einatmen und Ausatmen, Aktivität und Ruhe, Tag und Nacht u.s.w.). Allerdings „führt“ die Lebens-Aktivität bis zum Höhepunkt unserer Vitalität, egal ob man schläft, sich ausruht oder aktiv ist.

Wenn dieser Höhepunkt überschritten ist, dann übernimmt die Todes-Aktivität die Führung, bis zurück zum Ursprung. Zen heißt, diese beiden Aktivitäten vollkommen zu manifestieren
.

Weisheit der Zeit-Aktivität

 Im täglichen Leben macht man wiederholt die Erfahrung von Anfang und Ende, also von zeit. Diese ganze Sache handelt von der Zeit und das muss man verstehen lernen. Da diese Erfahrung fortlaufend selbst gemacht wird, hat man die Grundlage dafür, die Weisheit der Zeit-Aktivität zu erlangen.

Diese Zeit-Aktivität, wurde von Shakyamuni zum erstenmal als ‚Aktivität der Unbeständigkeit und der bedingten Entstehung’ (pratitya samutpada) formuliert. Die Weitergabe davon ist im Nyorai-Zen enthalten. Das Wort: ‚nyorai’ kommt aus dem Sanskrit ‚Tathagata’, was „so gekommen, so gegangen“ heißt; „nyorai – nyoko“ ist die chinesisch/japanische Übersetzung davon. Nyorai-Zen ist die Kurzform dieses Begriffs.

 

Aktivität der Unbeständigkeit

 Betrachten wir nur einmal unsere Atmung. In ihr wiederholt sich das Ausatmen und Einatmen, Ausdehnung und Zusammenziehung, Innen und Außen. ‚Nyorai’ entspricht der Einantmung und ‚nyoko’ Ausatmung. Unser Leben, sowie das aller Wesen, basiert daher auf ‚nyorai – nyoko’ und deshalb beruht auch unsere Existenz auf der Zeit-Aktivität. Darum vollziehen wir und alle Wesen die Aktivität der Unbeständigkeit. Das ist die Lehre von Shakyamuni und es ist ein sehr schwieriger, aber sehr wichtiger Punkt.

Da wir die Dharma- bzw. Zeit-Aktivität beinhalten, brauchen wir die Zeit nicht zu objektivieren. Objektivieren meint hier die zeit als Objekt der Betrachtung zu sehen, bzw. als Ding uns gegenüber zu stellen. Wenn man die Zeit-Aktivität in ihrer Vollständigkeit manifestiert, braucht man sie also nicht zu objektivieren. Man kann dann die Zeit vergessen und braucht sich diesbezüglich keine Fragen mehr zu stellen.

 

Vollkommene Weisheit…

 Während man die menschliche Aktivität vollständig manifestiert, braucht man auch diese Aktivität nicht zu objektivieren. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Darum, wenn man sich vollständig manifestiert, braucht man sich nicht zu fragen, wer man ist und was man tun soll. So erlangt man vollkommene Weisheit.

Im Gegensatz dazu, wenn man sich nicht vollkommen manifestiert, muss man über sein Selbst nachdenken. Das Selbst, das über sich selbst nachdenken muss und es nötig hat, sich zu objektivieren, dieses Selbst ist gemäß des Nyorai-Zen ein unvollständiges Selbst. Das unvollständige Selbst objektiviert unentwegt sich selbst und alles andere. Das heißt es macht sich selbst und alles andere ständig zum Gegenstand der Betrachtung. Dieses Selbst beruht auf dem unvollständigen Bewusstsein und erlebt sich daher auch getrennt von allem anderen.

…braucht nicht nach Gott oder Buddha zu suchen
 

 Andererseits, wenn man das vollkommene Selbst manifestiert, braucht dieses Selbst nicht länger das Selbst zu suchen. Man braucht dann auch nicht nach Gott oder Buddha zu suchen.

Man muss verstehen, dass man in seiner menschlichen Existenz einmal ein vollkommenes und dann wieder ein unvollkommenes Selbst manifestiert. Und darin pendelt man hin und her. In der vollkommenen Manifestation, d.h. im vollkommenen Bewusstsein, braucht man weder zu denken noch zu zweifeln.

Das Selbst existiert durch die Beziehung zu anderem. Auch unser Leben besteht aus Beziehung zu anderem. Ohne zu essen, kann man nicht überleben. Auch das ist eine Art von Beziehung. Man muss auch Luft einatmen. Man sieht eine Blume und empfindet Schönheit, bei anderen Dingen empfindet man Abneigung oder Hass. Das ist Beziehung schließen, die einem Zufriedenheit und den Zustand bringt, darüber hinaus nichts mehr suchen zu müssen, nicht mehr zu fragen, nicht mehr zu denken. 

Also jeder Mann, jede Frau bedarf der Beziehung zu anderen Menschen und Wesen. Durch echte Beziehung kann man diese Erfahrung machen, dass es nicht nötig ist, länger nach weiteren Beziehungen suchen zu müssen. Der Buddhismus lehrt, dass dieser Zustand die Manifestation der vollkommenen Weisheit ist.

Echte Beziehungen

 Jeder macht die Erfahrung von diesem „no need to seek“ durch die Aktivität des Händeschüttelns, Küssens und Umarmens, wenn man sich in diesem Augenblick dem anderen vollkommen hingibt. Man ist doch in ständiger Beziehung zu irgend etwas, zu einem Baum oder Blume, einem Gegenstand u.s.w. Aber in der menschlichen Beziehung kann man dieses „no need to seek“ am leichtesten erfahren.

 

Mann - Frau

 

  Ein gutes Beispiel dafür ist eine Mann-Frau Beziehung, und darum ist diese Weisheit bereits in uns allen, nur ist man sich dessen nicht bewusst. Aber durch unser unbewusstes Verlangen nach Vollkommenheit sucht man diese Beziehung zu einem Mann oder einer Frau. Die menschliche Beziehung ist hier als Beispiel gegeben, aber das gleiche ereignet sich in jeder anderen Beziehung mit einer Blume, einem Vogel, Wolke, u.s.w. Das sind Beziehungen zu konkreten Wesen und Dingen, aber diese Beziehung besteht auch auf einer abstrakten Ebene: Beziehung zu Gott, zum Schönen, u.s.w. Wenn man sich darin übt, mit dem anderen vollkommen eins zu werden manifestiert man auf diese Weise sein wahres Sein. Dann kann das leicht auf Gott, Buddha und das Absolute erweitert werden.

 

Zuerst beginnt man, indem man Beziehungen zu konkreten Dingen schließt. Das wird auch als Koan gegeben. Man versteht dann, dass die Beziehung zu Gott in der gleichen Weise sein sollte. Auf dieser Basis ist das absolute Wesen nicht etwas außerhalb von einem selbst. Man erlangt die klare Weisheit, dass das Absolute vom täglichen Leben tatsächlich nicht getrennt ist. Ebenso ist unser wahres Selbst nicht vom täglichen Leben, von unserem Sitzen, Stehen, Gehen und Liegen getrennt. Dieses Verständnis gibt uns letztlich Sicherheit in unserer Existenz.

Das Absolute als Objekt?

Leider ist man in seinem Denken so erzogen, Gott außerhalb von einem selbst zu suchen. Wenn man Gott oder Buddha „außerhalb“ hält, dann bedeutet das, dass man an seinem unvollkommenen Selbst (Ego) festhält. Man versteht dann das Absolute als Objekt, getrennt von einem selbst. Wenn man mit dieser Einstellung fortfährt, gleichgültig wie viele Jahre man Zen praktiziert, wird man nie in den Buddhismus eindringen.  

Solange man das Absolute „außerhalb“ hält, bedeutet es, dass man sein unvollständiges Selbst akzeptiert und daran festhält. Die Folge davon ist, dass man nicht Befreiung finden kann und in der eigenen Unvollständigkeit gefangen bleibt. Wenn man eine Blume sieht und mit ihr eine echte Beziehung schließt, ist das nichts anderes, als das ganze Universum zu umarmen.

 

Wenn man wirklich liebt, braucht man über Liebe nicht nachzudenken.

Eine echte Beziehung schließen bedeutet, das persönliche, objektivierende und denkende Selbst aufzuopfern. Wenn man der oder dem Geliebten begegnet, und – ohne darüber viel nachzudenken – sie oder ihn sofort umarmen muss, umarmt man dabei gleichzeitig das ganze Universum. Wenn man wirklich liebt, dann braucht man über Liebe nicht nachzudenken. Genau so, wenn man wirklich Zazen übt, braucht man auch über Zazen nicht nachzudenken.

 

Wenn man sich einer Aktivität vollkommen hingibt, sodass kein Platz mehr für das Denken da ist, manifestiert man das Wahre Selbst und das Wahre Sein.

Dieser Zustand wird auch der vollkommene Zustand genannt und diesen zu manifestieren, ist Sinn und Zweck der Zen-Praxis.

 

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