Ist der Buddhismus im Westen angekommen?
Kurt Gakuro Krammer
Als in einer forsa Umfrage 2006 nach den größten Vorbildern der Deutschen gefragt wurde, landete Günther Jauch mit 63% auf dem ersten Platz. Papst Benedikt XVI. lag mit 55 % deutlich dahinter. Bei den internationalen Persönlichkeiten landete der in der gleichen Liga spielende Dalai Lama auf dem ersten Platz und mit 61% deutlich vor dem Pontifex.1
Vom April 2011 stammt eine APA/OGM Umfrage zum Thema „Wem vertrauen die Österreicher unter den Religions- und Glaubensvertretern?“ Auch hier ein ähnliches Bild: Ein höherer Vertrauenswert für den Exilmönch und Friedensnobelpreisträger aus Tibet als für den Bischof von Rom und seine österreichischen Amtsbrüder zusammen.2
Ich möchte diesem oberflächlichen Bild der Umfragen und Medien keine ernsthaftere Analyse des Phänomens „Dalai Lama“ im Westen folgen lassen, aber ich denke, es ist unbestritten, dass der
1 http://www.rp-online.de/gesellschaft/promis/Dalai-Lama-und-der-Papst-welche-Vorbilder-die-Deutschen-haben_bid_18717.html
2 http://diepresse.com/home/panorama/religion/652730/Umfrage_Zu-wem-haben-die-Oesterreicher-Vertrauen?from=simarchiv
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Kurt Gakuro Krammer
Buddhismus dadurch ein bedeutend günstigeres Klima für sein Ankommen in Europa vorfindet, als andere Religionen, die erst in neuerer Zeit hier Fuß gefasst haben.
Nicht immer war das Klima für ein Ankommen des Buddhismus in Europa so günstig. Vor etwa 120 Jahren, als der Buddhismus über einen engen Kreis von Indologen und Philosophen hinaus begann in Europa Interesse zu erregen, ging von Kaiser Wilhelm II höchstpersönlich eine dringende Warnung vor dem Buddhismus aus. Der letzte Kaiser hatte 1895 an Hermann Knackfuß die Ausarbeitung einer allegorischen Zeichnungen mit dem Titel „Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter“ in Auftrag gegeben, um sie dem russischen Zaren Nikolaus II. zum Geschenk
zu machen, um ihn vor dieser „Gelben Gefahr“ zu warnen. Offensichtlich war es dem Kaiser nicht
klar, dass der Buddhismus im Zarenreich ein anerkanntes Religionsbekenntnis war und der Zensus
von 1897 exakt 433,863 Buddhisten im Zarenreich registrierte.
Bevor wir uns nun der Kernfrage „Ist der Buddhismus im Westen angekommen?“ zuwenden, noch drei Anmerkungen:
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Kurt Gakuro Krammer
3. Wenn wir vom „Buddhismus im Westen“ sprechen, so ist uns gar nicht bewusst, welch zentrale Bedeutung dem Reich der untergehenden Sonne im asiatischen Buddhismus zukommt. Denn im Westen liegt das Buddhafeld des Amitabha, das lautere Land des Buddha des unendlichen Lichtes und Lebens. Und diese Tatsache des „Ex Occidente Lux!“ spielt auch eine gewisse Rolle im Verhältnis von östlichem und westlichem Buddhismus.
Wie beantworten wir nun die Kernfrage „Ist der Buddhismus im Westen angekommen?“
Aus europäischer Sicht haben wir zwei Möglichkeiten: Affirmation oder Negation. Wenn wir ja sagen, sammeln wir Begründungen und Argumente dafür, wenn wir nein sagen ebenso. Häufig fragen wir dann: Wer hat nun recht?
Aus asiatischer Sicht haben wir vier Möglichkeiten: Ja,
Aus buddhistischer Sicht haben wir noch eine Möglichkeit: Wir gehen an die Frage ganz offen heran!
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Kurt Gakuro Krammer
Zuerst aber ein paar häufig von Skeptikern geäußerte Argumente dafür, dass der Buddhismus in Europa noch nicht angekommen ist:
Dem hält einer der Pioniere des Buddhismus in Europa, der Deutsche Anagarika Govinda folgenden Satz entgegen:
"Wir wollen daher unsere Mitglieder nicht zu kleinen Indern, Tibetern, Japanern oder Chinesen machen, sondern uns vielmehr darum bemühen, zunächst einmal das Wesen unserer eigenen, abendländischen Tradition und Kultur in ihrer ganzen Entwicklung zu begreifen, um davon ausgehend die Traditionen anderer Kulturen zu studieren und sie verstehend achten zu lernen." [Govinda <Lama Anagarika> <1898 - 1985>: Lebendiger Buddhismus im Abendland. -- ISBN 3-502-61233-1. -- S. 26]
Dazu noch eine kurze Bemerkung zu Govinda: Lama Anagarika Govinda alias Ernst Lothar Hoffmann war einer jener frühen deutschen Buddhisten, die sich durch Arthur Schopenhauer zum Buddhismus hingezogen fühlten. Während des I. Weltkriegs krank aus der Armee entlassen wendet er sich mit 18 Jahren dem Buddhismus zu, lernt diesen in Sri Lanka und Indien kennen und gründet1933 den Orden „Arya Maitreya Mandala“. Ein westlicher Zweig des Ordens wurde 1952 in Berlin gegründet. Damit begann das Wirken Govindas im Westen mit einer Unzahl von Vorträgen und Büchern verbunden mit einer neuen Welle des Ankommens der Lehre des Buddha im Westen.
Seit jener Zeit, als die unmittelbarsten Folgen des Zweiten Weltkriegs überwunden waren, mehrten sich die Zeichen dafür, dass der Buddhismus in Europa ankommen könnte. Jedenfalls hatte diesbezüglich ein dynamischer Prozess begonnen. Betrachten wir diesen Standpunkt etwas genauer. Wodurch lässt er sich begründen und belegen?
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Kurt Gakuro Krammer
Das wesentliche Kriterium für ein Ankommen der Lehre des Buddha in Europa erscheint mir das echte Ankommen in den Herzen hier lebender Menschen. Das scheint mir am Beginn des 21. Jahrhunderts hunderttausendfach gegeben. Nachrangig erscheinen mir Angaben von Volkszählungen, die Anzahl von buddhistischen Organisationen und Gebäuden, von klösterlichen und akademischen Einrichtungen, obwohl ich auch darauf noch zurückkommen möchte.
In großer Anzahl gibt es Menschen, welche die Dreifache Zuflucht genommen haben; die dem Mittleren Weg des Buddha folgen, den Dharma, die Lehre vom Erkennen der Wirklichkeit ergründen und im Sangha die Gemeinschaft suchen und finden, in der man Stütze und Inspiration erfährt und wiederum gibt.
Das im ganzen deutschen Sprachraum maßgebliche Dokument ist das sogenannte „Buddhistische Bekenntnis“ der DBU, das in kurzer Form die gemeinsamen Grundlagen für den äußerst vielfältig in Erscheinung tretenden europäischen Buddhismus zusammenfasst. Darin enthalten ist nicht nur das unbegrenzte Mitgefühl zu allen Lebewesen, sonder auch das Bekenntnis zur Einheit aller Buddhisten, was es so in Asien nicht gibt. Dass aber in der Praxis der intrabuddhistische Dialog in Europa noch in den Kinderschuhen steckt, sei hier am Rand kurz vermerkt.
Lassen sie mich der Aktualität wegen bei dieser Gelegenheit kurz darauf hinweisen, dass nicht weit von hier gerade der Kongress der Deutschen Buddhistischen Union stattfindet, wo die unterschiedlichen Gemeinschaften aller Drei Fahrzeuge, des Theravada, des Mahayana und des Vajrayana mit ihren je spezifischen Verzweigungen um möglichst viel Einheit in der Vielfalt ringen.
Während im größten Stadttempel in Wien gerade ein Tag der offenen Tür stattfindet.
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Kehren wir aber wieder zurück zur zentralen Frage des Ankommens bei den einzelnen Menschen und wie der Buddhismus ihnen hilft, ihr Leben neu zu gestalten, freudvoller und bewusster zu leben.
In allen Teilen Europas werden die traditionellen Formen der Meditation praktiziert, aber auchdie Übung von Geistesgegenwart und Achtsamkeit, von Gelassenheit und Gleichmut werden im Alltag vertieft und die Verwirklichung von Weisheit und Mitgefühl im täglichen Leben entfaltet.
Es wäre ein eigener Vortrag, wenn wir hier wirklich ergründen wollten, wie die Lehre des Buddha in den Herzen der Europäer Wurzeln schlägt und was die unterschiedlichsten
Menschen an dieser Lehre und ihrer Praxis so fasziniert, dass sie das über Jahre und Jahrzehnte zum sinngebenden Faden ihres Lebens werden lassen. Es sind die Begriffe "mysterium fascinosum" und "mysterium tremendum", wie der deutsche Theologe Rudolf Otto sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt, die am ehesten den Weg zu einem Verstehen dieses Phänomens ebnen.
In der durch und durch scheinbar rationalen Welt der technologischen Allmachbarkeit und der wirtschaftlich-politischen Alternativenlosigkeit verspricht die Suche einer ganz anderen Rationalität eine Lösung anzubieten. Dass hier der schmale Grat zwischen magischer Irrationalität und spiritueller Transrationalität ständig aufs Neue zur klaren Trittfestigkeit mahnt, sei an dieser Stelle nur angedeutet.
Zweifellos haben die buddhistischen Traditionen zumal mit der Praxis der Meditation, aber auch durch Übertragung der Weisheit des über Generationen vermittelten Dharma, sowie mit der Unterstützung durch Edle Freunde und authentische Lehrerinnen und Lehrer hier handlungsleitende Mittel und Methoden zur Verfügung, um das erwünschte Ziel eines ruhigen und klaren Geistes und eines Herzens voll Mitgefühl und Weisheit zu erlangen.
Natürlich setzen die 3 Fahrzeuge auch etwas unterschiedliche Akzente:
• Theravada: Ende der leidvollen Verstrickung, 4 Edle Personen (ariya-puggala): Stromeingetretener (sotāpanna) Einmalwiederkehrender (sakadāgāmi), Nichtwiederkehrer (anāgami), Heilige/r (arahat).
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Kurt Gakuro Krammer
Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass so unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind natürlich auch ihre Vorstellungen und Erwartungen an eine religiöse Praxis wie den Buddhismus auch in Europa. Nicht nur buddhistische Kernbegriffe wie Nirvana, Erleuchtung, Karma und Wiedergeburt erfahren unterschiedliche Interpretationen und sorgen auch innerhalb der europäischen buddhistischen Gemeinschaften, zwischen Europäern und Asiaten, zwischen Alt und Jung zu einem spannenden, oft fruchtbaren und beileibe nicht immer friktionsfreien Diskurs. Aber immer wieder und in allen Fällen geht es letztendlich um die Befreiung von der Verstrickung in eine unheilsame und unheilvolle Lebensweise, die durch Egozentrismus und Abgeschnittenheit gekennzeichnet ist. So wie es das großartige Lotos-Sutra darstellt: Die Kinder spielen gänzlich weltvergessen in einem brennenden Haus und der verzweifelte Vater sinnt nach geschickten Mitteln, um die Kinder aus der verderblichen Gefahr herauszulocken. Dass wir seit 20 Jahren durch die hervorragende Arbeit der Münchner Philosophin und Theologin Margareta von Borsig auch in deutscher Sprache einen Zugang zu diesem zentralen Werk des Mahayana-Buddhismus haben, ist für mich ein weiteres Indiz eines echten Ankommens im Westen.
1. Meditation, Studium, Dialog
Wie sieht nun das Ankommen des Buddhismus im Alltag der Menschen in Europa aus?
Täglich treffen sich Menschen in hunderten Städten, quer durch Europa, um Meditation zu praktizieren, sie halten Studienkreise zu buddhistischen Themen ab, sie gestalten Pujas und andere buddhistische Feiern nach unterschiedlichen Riten. Fast täglich beginnt irgendwo in Europa eine intensive Praxiswoche, ein Sesshin, ein Zehntageretreat, oder auch längere Meditationskurse an denen Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Alters teilnehmen.
Von Schottland bis Griechenland und Spanien, in Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz befinden sich buddhistische Klöster in denen Mönche und Nonnen unterschiedlicher Traditionen langjährige Ausbildungen durchlaufen.
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Kurt Gakuro Krammer
Im buddhistischen Kloster Lerab Ling in Südfrankreich fand von 2006-2009 ein klassisches Dreijahresretreat mit 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern statt, um eines der zahlreichen herausragenden Beispiele zu nennen.3
Obwohl Europa im Bereich der akademischen Studien den Entwicklungen in den USA weit hinterher hinkt, gibt es auch hier nun vermehrt zahlreiche Kurse, Großveranstaltungen und Studien auf universitärem Boden.
Vom 18.-21. August 2011 fand an der Universität Hamburg ein Kongress zum Thema „Achtsamkeit – eine buddhistische Praxis für die Gesellschaft heute“ mit 1500 Teilnehmern statt.4
An der Universität Wien findet heuer zum dritten Mal zum Thema „Buddhismus“ ein Universitätslehrgang der Akademie für Buddhismus und Christentum statt.5
Nicht nur im deutschen Sprachraum gibt es seit Jahren kaum eine katholische oder evangelische Akademie, kaum eine
Volkshochschule oder Erwachsenenbildungsinstitution, die nicht einen Vortrag oder ein Seminar zum Buddhismus im Programm hätte.
Die Anzahl der Bücher, die sich direkt dem Thema Buddhismus, oder der Auseinandersetzung moderner Geistes- oder Naturwissenschaft mit buddhistischen Positionen beschäftigen, ist mittlerweile völlig unüberschaubar geworden.
Noch wesentlich unüberschaubarer ist in den letzten 10-15 Jahren die buddhistische Präsenz im globalen elektronischen Raum geworden, Webseiten, Blogs, Vorträge auf mp3,Videos auf YouTube etc. bieten dem
3 http://lerabling.org/
4 http://www.achtsamkeitskongress.de/
5 http://www.akademie-buddhismus-christentum.ac.at/
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Interessierten, aber auch wissenschaftlich Tätigen eine Fülle von Quellenmaterial.
Hier möchte ich auch kurz andeuten, dass gerade in Zeiten gesellschaftlicher Krisen, in denen sich Europa zurzeit zweifellos befindet, die jungen Menschen vermehrt auf der Suche nach Orientierung sind.
Zahlreiche buddhistische Aktivitäten und Publikationen richten sich an Jugendliche; sei es das Angebot buddhistischer Konfirmationskurse in Norwegen6, die buddhistischen Pfadfinder in Frankreich7oder der seit 1993 angebotene Buddhistische Religionsunterricht anöffentlichen Schulen in Österreich.8, sowie die Produktionen von Unterrichtsmaterialien über den Buddhismus des englischen Clear Vision Trust9.
Aber auch die Songs und Mantras der Mönche des spanischen Klosters „Sakya Tashi Ling“10,
die es in die europäischen Hitlisten geschafft haben, sollen hier als Beispiel angeführt werden.
Hervorheben möchte ich hier das besondere Engagement der ungarischen buddhistischen Gemeinschaft „Dzsaj Bhím Közösség“11, die seit 2007 ein sehr engagiertes Bildungs- und Nachqualifizierungsprogamm für Jugendliche und junge Erwachsene aus der noch immer weitgehend ausgegrenzten Roma Gemeinschaft betreibt. Die meisten Aktivisten dieses als buddhistische Religionsgemeinschaft anerkannten Netzwerks sind selbst Roma und beziehen ihre Inspiration von den indischen Dalit-Buddhisten, einer Bewegung, die auf Dr. Ambedkars Konversion zum Buddhismus 1956 zurückgeht.
6 http://buddhistforbundet.no/
7 http://www.edln.org/
8 http://www.buddhismus-austria.at/website/output.php?ba=1019
9 http://www.clear-vision.org/
10 http://portal.sakyatashiling.org/
11 http://www.ambedkar.eu/
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Bemerkenswert erscheint mir auch die Präsenz von Vertretern des Buddhismus am Interreligiösen Dialog, die weit über dem liegt, was der prozentuelle Anteil der Buddhisten an der Bevölkerung vermuten ließe. Zu erwähnen ist hier auch das European Network of Buddhist Christian Studies 12, das im nahegelegenen St. Ottilien seinen Sitz hat.
Vermehrt erhebt sich auch die Frage der religiösen Mehrsprachigkeit, d.h. dass Christinnen und Christen aus den Quellen der Buddhalehre schöpfen und Buddhisten gleichzeitig der Spiritualität des Christentums verbunden sind. Das setzt nun auch in Europa die Frage einer dualen Religionszugehörigkeit auf die Tagesordnung.
Europäische Buddhistinnen und Buddhisten sind auch aktiv in Hospizvereinen, in der Kranken- und Gefangenenbetreuung, bei der Flutopferhilfe, in Menschenrechtsgruppen und in zahlreichen Organisationen der Zivilgesellschaft, teilweise in eigenen Projekten des Engagierten Buddhismus, teilweise in Kooperation mit anderen religiösen Initiativen.
Äußerst bemerkenswert ist auch die Rolle der Frauen im westlichen Buddhismus. Mit dem Aufschwung des Buddhismusinteresses im letzten
Drittel des 20. Jahrhunderts nahmen Frauen wie zur Zeit des Buddha ganz selbstverständlich eine gleichberechtigte Stellung ein, stellten oft die Mehrzahl der Praktizierenden in einer Gruppe, wurden Leiterinnen, Lehrerinnen, Nonnen, Priesterinnen und Traditionsoberhäupter.
2. Organisation des Buddhismus in Europa
Lassen sie mich etwas über die Organisation des Buddhismus in Europa sagen.
a Gruppen
b Stadtzentren
c Retreatzentren
d Klöster
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Kurt Gakuro KrammerAuf der Graswurzelebene gibt es die buddhistischen Meditations- und Studiengruppen, die oft nur ein bis zwei Dutzend Personen umfassen und teilweise in kleinen angemieteten oder auch privaten Räumen zusammentreffen.
In den Städten sind das die deutlich größeren Buddhistischen Zentren, getragen von einer Mitgliedschaft von 50-500 Menschen mit allabendlichen Veranstaltungen und häufig auch an den Wochenenden. Zumeist haben diese auch einige Filialen in der Region.
Die meist am Land befindlichen Retreatzentren haben häufig einen kleinen Kreis permanenter Bewohner, die dann auch für die Betreuung jener Menschen sorgen, die sich zu einwöchigen oder längeren Kursen dort einfinden.
Klöster oder klosterähnliche Institutionen veranstalten oft auch parallele Kurse und betreuen bis zu 1000 Menschen bei Spitzenauslastung im Sommer. Kursteilnehmer nehmen häufig an den nötigen Arbeitsvorgängen in Form von Arbeitsmeditation, Karma Yoga, Samu etc. teil, um die aus Ordinierten und Nicht-Ordinierten bestehende Stammbelegschaft zu entlasten.
Größere buddhistische Institutionen unterhalten alle diese unterschiedlichen Organisationsformen in einem oder mehreren Ländern Europas, oder auch weltweit.
Als eine der weltweit verzweigtesten Institutionen gilt der vom dänischen Lama Ole Nydhal begründete „Diamantweg-Buddhismus“ mit mehr als 600 Gruppen in über 35 Ländern.
Aber auch zahlreiche andere große buddhistische Organisationen, die auf mehreren Kontinenten vertreten sind, haben ihren Hauptstützpunkt in Europa oder den USA.
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Kur
t Gakuro Krammer3. Zusammenschlüsse buddhistischer Organisationen
Eine andere Form der Zusammenschlüsse sind nationale Dachorganisationen bzw. Netzwerke, wie die DBU, SBU und ÖBR in den deutschsprachigen Ländern, oder das Network of Buddhist Organisations in Großbritannien. Unterschiedliche Gründe waren für ihr Entstehen maßgeblich, sei es als Erfordernis für die staatliche Anerkennung, wie im Beispiel Österreichs, oder einfach um eine Plattform für Kommunikation und Kooperation zu schaffen wie beim NBO.
Darüber hinaus gibt es seit 1975 die Europäische Buddhistische Union, zu deren Mitgliedern nationale Dachorganisationen, internationale Netzwerke, aber auch einzelne Zentren und Gruppen gehören. Derzeit umfasst die EBU 40 Mitgliedsgruppen aus 16 europäischen Staaten, darunter 10 nationale Dachorganisationen. In einem jährlich stattfindenden mehrtägigen Treffen werden Informationen und Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsame Projekte entwickelt.
Neben Meditations- und Tempelräumen, die in Wohnungen, Lagerräumen und Privathäusern untergebracht und dem Außenstehenden nicht sichtbar sind, gibt es natürlich auch Monumente und Gebäude, welche die Präsenz des Buddhismus im öffentlichen Raum manifestieren.
Stupas könnte man als Denkmäler der Erleuchtung bezeichnen. Sie sind manchmal mit Reliquien, religiösen Schriften und sonstigen Weihegegenständen gefüllt. Buddhisten pflegen diese dreimal zu umrunden, um weitere Inspiration und Kraft zur Fortsetzung des Erleuchtungsweges zu gewinnen. In ganz Europa von Estland bis Spanien gibt es inzwischen hunderte Stupas im öffentlichen Raum.
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Kurt Gakuro Krammer
Die derzeit größten Stupas in Europa sind der in Benalmádena nahe Málaga und der in Zalaszanto nahe dem ungarischen Plattensee. Während im Zentrum Salzburgs im September dieses Jahres ein kleiner Stupa auf dem Mönchsberg für mediale Aufmerksamkeit sorgte, ist im österreichischen Gföhl nördlich der Donau der größte Stupa Europas gerade in Planung.
Tempelgebäude in Städten weisen auch in unterschiedlicher Weise auf die Präsenz des Buddhismus hin. Am beeindruckendsten allerdings sind Retreatzentren und Klöster in
Lassen sie mich zum Abschluss noch etwas über die vielfältigen buddhistischen Beziehungen zwischen Asien und Europa sagen.
Vielen ist unbekannt, dass Russland, als die klassische Brücke zwischen Europa und Asien den
Buddhismus schon zur Zarenzeit anerkannt hatte. Dass ein ganzer Teilstaat der Russischen
Föderation, nämlich die autonome Republik Kalmückien überwiegend buddhistisch ist, könnte älteren Münchnern bekannt sein, da viele Kalmücken 1945 vor Stalin nach Deutschland geflüchtet sind.
Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit in ganz Europa von den Millionen Immigranten, die ihren Ursprung in Süd- bis Ostasien haben, sich etwa 1 Mio. zum Buddhismus bekennen, insbesondere Menschen mit vietnamesischem, chinesischem und thailändischem Hintergrund. Zwischen ihnen und der etwa gleich großen Anzahl von zum Buddhismus konvertierten Europäern gibt es noch deutlich weniger Verbindungen, als dies in den USA und insbesondere in Australien der Fall ist. Häufig haben sie ihre eigenen Tempel und Zentren, die nur zögernd von Europäern frequentiert werden. Umgekehrt kommen auch nur wenige Asiaten in buddhistische Zentren der Europäer.
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Ursprünglich waren natürlich alle buddhistischen Lehrer europäischer Buddhisten aus Asien, bzw. europäische Buddhisten gingen in asiatische Länder, um dort ihre Lehrer zu finden, wie die bekannten deutschen Mönche Nyanatiloka und Nyanaponika, oder auch die Nonne Ayya Khema.
Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts gelten zwar weiterhin die angesprochenen Trends, aber häufig bildet sich eine nennenswerte Anhängerschaft um buddhistische Lehrerpersönlichkeiten aus Europa. Der englische Mönch Sangharakshita mit seinem westlich geprägten Triratna Orden, der ebenfalls englische Lama Jampa Thaye mit seiner in Europa und Amerika aktiven Dechen Community und die englische Zen-Meisterin Jiyu-Kennett, die den ebenfalls westlich geprägten Order of Buddhist Contemplatives begründete, haben in den letzten 30 Jahren weltumspannende Netzte buddhistischer Gruppen errichtet, um hier nur einige Beispiele zu nennen. Zahlreiche europäische Mönche, Nonnen, Lehrer und Lehrerinnen leiteten und leiten in allen Teilen Europas Zentren von lokaler oder regionaler Bedeutung.
Andere Zenten oder auch größere buddhistisch Netzwerke haben an ihrer Spitze zwar anerkannte Meister asiatischer Herkunft, bestehen aber überwiegend aus Europäern, wie der weltweit verbreitete Intersein Orden des vietnamesischen Mönchs Thich Nhat Hanh, die Rigpa Zentren des tibetischen Meisters Sogyal Rinpoche, das von Chögyam Trungpa gegründete Shambala International, oder das vom Japaner Daisaku Ikeda geleitete Soka Gakkai International.
Die 1970 von Taisen Deshimaru gegründete Organisation „Association Zen Internationale“, eine Organisation mit weltweit etwa 200 Gruppen wird heute überwiegend von Franzosen, Deutschen und Amerikanern geführt. Einige eigenständige europäische Organisationen sind ebenfalls daraus hervorgegangen.
Nicht erst im 21. Jahrhundert wirkt der Buddhismus im Westen auf den Buddhismus in Asien zurück. Das früheste Beispiel ist der Buddhistische Katechismus des Amerikaners Henry Olcott, ein kleines Büchlein, geschrieben 1881 mit der Absicht, der Jugend von Ceylon den Buddhismus wieder näher zu bringen. MitÜbersetzungen in 20 Sprachen wurde es ein Welterfolg. Das gleiche gilt für die von Olcott 1885 initiierte Schaffung einer Buddhistischen Flagge, die heute von Buddhisten in aller Welt angenommen wird.
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Zweifellos hatte auch das Auftreten von europäischen Mönchen in Asien einen bestärkenden Einfluss auf das Selbstbewusstsein von Buddhisten in kolonial regierten Ländern. Ernsthaft den Buddhaweg übende Europäer fanden in Asien stets große Anerkennung. Die Einladung der deutschen Mönche Nyanatiloka und Nyanaponika zum 6. Buddhistischen Konzil 1954 in Rangun ist mir dafür ein Beweis.
Ayya Khemas Wirken in Sri Lanka als buddhistische Nonne mag mit ein Grund sein, dass der Bhikkhuniorden, der Orden der voll ordinierten Frauen 1998 in Sri Lanka zu neuem Leben erwachen und somit zum Vorbild für Frauen in anderen Theravadaländern werden konnte. Ayya Khema ist auch eine der Initiatorinnen für die weltweit wirkende buddhistische Frauenorganisation „Sakyadhita“, die seit der ersten Konferenz 1987 in Bodhgaya wesentlich zur Verbesserung der Position der Frauen im asiatischen Buddhismus beigetragen hat.
Das Internationale Netzwerk Engagierter Buddhisten (INEB) wurde von Sulak Sivaraksa initiiert. Sulak Sivaraksa ist seit Jahrzehnten der bekannteste Sozialaktivist in Thailand und Träger des Alternativen Nobelpreises. 1989 wurde das Netzwerk von bekannten Repräsentanten der Drei Fahrzeuge ins Leben gerufen (Dalai Lama, Thich Nhat Hanh und Buddhadasa Bhikkhu). Es steht aber fest, dass alle vier Persönlichkeiten der westlichen Bildung, dem aufgeklärten demokratischen Denken und anderen Religionen gegenüber sehr aufgeschlossen waren. Auch die häufig geäußerte Vermutung, dass das karitative Engagement christlicher Kirchen bei dieser Gründung des Engagierten Buddhismus Pate gestanden ist, erscheint mir nach einem persönlichen Gespräch mit Sulak Sivaraksa zutreffend.
So schließt sich der Kreis: nachdem der asiatische Buddhismus im Westen angekommen ist und trotz der relativen Kürze des Prozesses schon gewisse Schritte der Inkulturation durchlaufen hat, beginnen wesentliche Impulse des westlichen Buddhismus in Asien Fuß zu fassen.
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Kurt Gakuro Krammer
Lassen sie mich zum Abschluss noch kurz zusammenfassen. Es ist kein Zufall, dass der Dalai Lama im Westen so populär ist. Einerseits steht er für Gewaltfreiheit, Mitgefühl und Besonnenheit und andererseits symbolisiert er die Hoffnung auf Mitmenschlichkeit und Sinnfindung in einer krisengeschüttelten Welt in der alle verbindlichen menschlichen Werte in Verlust zu geraten scheinen.
Je nach Sichtweise bzw. Kriterien sind die Kernaussagen des Buddhismus inzwischen für so viele Menschen zu einem Leitfaden eines gelingenden Lebens geworden, dass man den Buddhismus als in Europa angekommen betrachten kann. Fest steht, dass klassische buddhistische Begriffe wie Achtsamkeit und Gleichmut und die Praxis der Meditation, im täglichen Leben selbst solcher Menschen eine Rolle spielen, für welche die Lehre des Buddha in ihrer Gesamtheit nicht so bedeutsam ist. Gar nicht so wenigen Menschen gelingt es, die aus dem Buddhismus kommenden Meditationsformen in ihr christlich orientiertes Leben zu integrieren.
Für eine wachsende Minderheit von Menschen ist die Lehre des Buddha und die Praxis der Meditation zum unverzichtbaren Leitfaden einer erfüllenden Lebensentfaltung geworden.
Seit etwa 120 Jahren entwickeln sich Institutionen des organisierten Buddhismus in Europa, die Menschen jeglichen Alters und unterschiedlicher Herkunft ansprechen und einen gewissen Einfluss auf den gesellschaftlichen Diskurs ausüben. Nicht zuletzt im Dialog der Religionen und beim Brückenschlag zwischen Anhängern religiöser und nicht-religiöser Weltanschauungen nehmen die europäischen Buddhisten ihren Platz ein. Seit zwei bis drei Jahrzehnten finden buddhistische Positionen vermehrt in Bereichen wie Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Psychologie Gehör und tritt der Buddhismus durch Stupas, Tempel und Klöster im öffentlichen Raum in Erscheinung.
Noch sind Buddhisten, die im Rahmen globaler Wanderbewegungen nach Europa gekommen sind und Buddhisten, die als Europäer von sich aus den Mittleren Weg des Buddha eingeschlagen haben wenig miteinander in Kontakt, die Beispiele USA und Australien deuten aber auf eine für beide Seiten fruchtbare Verschmelzung hin, und das innerhalb weniger Generationen.
Mit einem gewissen Erstaunen kann man auch feststellen, dass nicht nur der Einfluss des buddhistischen Ostens auf den Westen, sondern auch ein deutlicher Einfluss des buddhistischen Westens auf den Osten gegeben ist.
Mögen alle Wesen in West und Ost glücklich sein!
Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.
Kurt Gakuro Krammer © 2011